Thüringer Gesetz zur Entwicklung sektorenübergreifender Versorgungsstrukturen

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach fast zehn Monaten, nachdem das Versorgungsstrukturgesetz der Bundesregierung in Kraft getreten ist, nämlich seit dem 1. Januar - und es ist deswegen in Kraft getreten, weil bis vor Kurzem noch durch verschiedene Seiten ein Ärztemangel bestritten worden ist -, haben wir nunmehr den Gesetzentwurf der Landesregierung zur Umsetzung der durch den § 90 a SGB V geschaffenen Möglichkeit zur Errichtung eines Landesgremiums in Thüringen vorliegen. Ich habe in den drei Jahren im Landtag gelernt, man soll erst mit dem Positiven anfangen, das will ich auch machen. Ich stelle also fest, das TMSFG hat einen Gesetzentwurf in die Debatte eingebracht. Das war es aus meiner Sicht dann aber auch schon. Wenn ich ehrlich bin, hat mich der Entwurf schon ziemlich ratlos zurückgelassen. Dieser Entwurf wird aus unserer Sicht hoffentlich niemals so in die Praxis umgesetzt. Ich kann mir auch - es tut mir leid, ich habe das hier nicht reingeschrieben ins Gesetz, das war Ihr Haus, Frau Taubert - ziemlich deutlich vorstellen, wie die Akteure der Selbstverwaltung reagieren, wenn das Ministerium versucht, quasi durch die Hintertür die Selbstverwaltung auszuhebeln. Bei den angedachten Kompetenzen des Landesgremiums entwickeln Sie aus unserer Sicht ein
Obergremium, das auf alle relevanten Fragen der Selbstverwaltung plötzlich Einfluss nehmen und zu allen Fragen der Selbstverwaltung plötzlich Stellung beziehen darf. Dies mag ja für den einen oder anderen Akteur, der bis daher relativ wenig Zugriff auf die Fragen der ambulanten Versorgung hatte, wie beispielsweise Ihr Ministerium, schon verlockend sein, aber ich kann Ihnen versichern, Frau Ministerin, dass meine Fraktion für den Erhalt der bewährten Unabhängigkeit, der Selbstverwaltung, kämpfen wird. Ein Gesundheitsministerium, das aus unserer Sicht schleichend Einfluss auf bewährte Strukturen nehmen will sowie bundesrechtliche Stoppzeichen ignoriert, Frau Ministerin, muss mit unserem vollen Widerstand, aber, ich glaube, noch viel mehr mit dem Widerstand der Selbstverwaltung rechnen. Von etwaigen Klagen, die jetzt schon im Raum stehen, will ich zumindest hier an der Stelle noch nicht sprechen. Aber schön der Reihe nach. Wie Sie sicherlich alle wissen, gibt das Bundesrecht vor, welche Kompetenzen das Landesgremium überhaupt wahrnehmen darf. Man kann sogar ziemlich genau sagen, welche Kompetenzen der Bund dem Landesgremium zugesteht, das steht nämlich schwarz auf weiß in jenem Paragraphen, welcher auch in § 1 des Thüringer Entwurfs zu finden ist, nämlich in § 90 a SGB V. Dieser ermächtigt den Landesgesetzgeber zur Bildung eines gemeinsamen Landesgremiums mit zweierlei Kompetenz: Erstens, zu Fragen der sektorübergreifenden Versorgung Empfehlungen abzugeben und zweitens, zur Aufstellung und Anpassung der Bedarfspläne nach § 99 Abs. 1 SGB V. Dies ist die Bedarfsplanung zwischen Krankenkassen und Kassenärztlicher Vereinigung, und zwar nach den Vorschriften des gemeinsamen Bundesausschusses, des Weiteren Stellungnahmen gegenüber dem Landesausschuss der Ärzte- und Krankenkassen zur festgestellten Unterversorgung nach § 100 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 sowie Stellungnahmen nach § 103 Abs. 1 Satz 1 gegenüber dem Landesausschuss der Ärzte- und Krankenkassen, wenn diese für eine Region eine Überversorgung feststellen sollten. Das war es. Schon der Hinweis in Ihrer Begründung zu § 2 Abs. 1, dass ebenso Fragen der spezialfachärztlichen Versorgung nach § 116 b SGB V eine Rolle spielen sollten, muss aus unserer Sicht eindeutig zurückgewiesen werden.

Mit anderen Worten, diese Kompetenzerweiterung des Landesgremiums durch das TMSFG gegenüber den bundesrechtlichen Vorgaben ist gesetzeswidrig, Frau Ministerin. Sie wissen, dass Zulassungs- oder Planungsfragen der spezialfachärztlichen Versorgung meist außerhalb jedweder landesrechtlicher Kompetenz liegen. Nach § 116 b Abs. 2 Satz 1 müssen Krankenhäuser, die nach § 108 SGB V zugelassen sind und die die durch den gemeinsamen Bundesausschuss gemachten Vorgaben zur Leistungserbringung nach Absatz 4 und 5 erfüllen, dies lediglich dem erweiterten Landesausschuss der Ärzte- und Krankenkassen anzeigen. Eine Zulassung zur Leistungserbringung der beantragten Krankenhäuser nach Prüfung der Unterlagen hat dann zwingend zu erfolgen. Ein Krankenhaus, welches die Standards erfüllt, darf die Leistung erbringen. Was sollen dann also Fragen nach § 116 SGB V im Landesgremium nach § 90 a, abgesehen davon, dass es bundesrechtlich ausgeschlossen ist, dass das Landesgremium dazu Stellung nehmen darf? Was ist denn in § 90 a mit sektorübergreifender Versorgung gemeint? Der Bundesgesetzgeber wollte bei Ausfall der Versorgungsfähigkeit des ambulanten Sektors, also etwa bei Unterversorgung einer Region, sicherstellen, dass diese auch vorübergehend durch Krankenhäuser abgesichert werden können.

Spezialfachärztliche Versorgungsfragen, also ob ein Krankenhaus die Diagnostik oder Behandlung schwer therapierbarer und komplexer Krankheiten, zum Beispiel HIV, Aids oder Multiple Sklerose, vornehmen darf, hat damit nichts zu tun. Bei diesen schweren Krankheitsverläufen
wären die meisten ambulanten Versorger sehr wohl überlastet. Daher und nur aus diesem Grund hat der Gesetzgeber für insgesamt 25 Krankheitsbilder und hochspezialisierte Leistungen, wie zum Beispiel CT- und MRT-gestützte schmerztherapeutische Leistungen, Ausnahmen vom Grundsatz ambulant vor stationär zugelassen. Diese sind deshalb ganz eng und auch hoch reguliert in § 116 b Abs. 1 SGB V festgehalten. Dies hat alles aber nichts mit der Aufrechterhaltung der grundlegenden medizinischen Versorgung in Thüringen zu tun.

Aber es geht noch weiter und wir sind immer noch in § 2 Abs. 1 und Abs. 2 des vorliegenden Gesetzentwurfs. Ein weiteres interessantes Detail ist die ausgewiesen restriktive Berichtspflicht und die Beachtungspflichten
der Empfehlungen des Landesgremiums an gleich drei völlig unterschiedliche Gremien auf Landesebene. Zum einen sollen die Empfehlungen und Stellungnahmen des gemeinsamen Landesgremiums vom Krankenhausplanungsausschuss, vom Landesausschuss der Ärzte- und Krankenkassen sowie vom erweiterten Landesausschuss der Ärzte- und Krankenkassen bei ihren Entscheidungsfindungen berücksichtigt werden.

Diese Vorgabe ist aus unserer Sicht ein Angriff auf die Selbstverwaltungsgremien. Wenn, Frau Ministerin, die Gremien der Meinung wären, was im Landesausschuss nach § 90 a SGB V passiert, ist irrelevant, dann kann dies niemand der Selbstverwaltung verwehren, schon gar nicht die Landesregierung. Dass Sie aber dann noch einfordern, dass das gemeinsame Landesgremium über Entscheidungen des Krankenhausplanungsausschusses, des Landesausschusses der Ärzte und Krankenkassen sowie des erweiterten Landesausschusses der Ärzte und Krankenkassen zu informieren sei, schlägt aus unserer Sicht dem Fass den Boden aus.

Sie werden verzeihen, Frau Ministerin, dass ich meinen Terminkalender und auch meine Vorhaben nicht mit der Landesregierung abspreche und Sie auch darüber nicht informieren werde. Bundesrechtlich gibt es nämlich nicht eine einzige zitierfähige Stelle, an der solch restriktive Informationswege begründbar wären, aber Sie setzen sich darüber einfach mir nichts, dir nichts hinweg.

Kommen wir zu einer weiteren, ich will sagen, zumindest interessanten Normierung im vorliegenden Gesetzentwurf, den § 6, in welchem die Stimmgewichtungen zur Beschlussfassung des gemeinsamen Landesgremiums festgelegt sind. Das ist bei meinen zwei Vorredner zumindest schon mal kurz angeklungen. Ich finde, das ist zumindest lustig. Wir finden da nämlich folgende Formulierung – ich zitiere: „Die Beschlüsse des Gemeinsamen Landesgremiums nach § 2 werden mit einer Mehrheit von drei Viertel der abgegebenen Stimmen der ständigen beschließenden Mitglieder getroffen. Andere Beschlüsse sind einstimmig zu treffen.“ Welche Beschlüsse, über die in § 2 des Gesetzes normierten hinaus, sollen denn dann bitte beschlossen werden? Wenn Sie gesetzlich vorgeben, worum sich das Gremium kümmern soll und in den Beschlüssen dann davon reden, dass es auch noch Beschlüsse über den normierten Bereich hinaus geben soll, zeigt mir zumindest, welche Agenda in dem Gesetzentwurf zu sehen ist. Sie wollen mit diesem Obergremium nachhaltig die Selbstverwaltung unter Vorsitz des TMSFG schwächen, indem Sie zu allen möglichen gesundheitspolitischen Fragen sich genehme Empfehlungen ausstellen. Dass dabei mit drei Stimmen die Krankenkassen zu allen Beschlüssen eine Sperrminorität erhalten, ist ein weiterer Affront gegenüber anderen Akteuren, wie Ärzten und Krankenhäusern. Sie haben aus meiner Sicht nicht verstanden, dass die Bundesregierung mit einem Versorgungsstrukturgesetz weder ein Obergremium noch zu allen gesundheitspolitischen Fragen die Landesministerien an den Tisch setzen, noch unnötige Doppelstrukturen zu bestehenden Landesgremien schaffen wollten. Es sollte ein hoch innovatives Gremium geschaffen werden, welches tatsächlich substanzielle Beiträge zur Verbesserung der vor allem ambulanten Versorgungslandschaft erarbeiten kann.

Während die Bundesregierung den Bundesländern die Möglichkeit an die Hand geben wollte, eine gesundheitspolitische Denkfabrik zu kreieren, haben Sie anstatt einer ICE-Lösung des BMG eine Draisine des TMSFG auf die Gleise gesetzt.

Sie können sich ja bestimmt vorstellen, wie innovativ Vorschläge dieses Gremiums sind, wenn faktisch permanent eine Einstimmigkeit hergestellt werden muss, denn sobald die Krankenkassen an einer Stelle den Finger heben, ist der gemachte Vorschlag hinfällig. Wir plädieren daher maximal für eine qualifizierte Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen, damit andere Mehrheiten unter den Akteuren überhaupt möglich sind.

Als Letztes lassen Sie mich noch kurz auf den § 8, in welchem die Kostentragung geregelt ist, eingehen. Auch hier haben wir eine dezidiert andere Auffassung als das Ministerium. Da das gemeinsame Landesgremium keine Institution der gemeinsamen Selbstverwaltung ist, sondern bei der für Gesundheit zuständigen obersten Landesbehörde angesiedelt ist, ist die Mitfinanzierung der Akteure durch die Selbstverwaltung unzulässig. Vielmehr muss das Ministerium, ähnlich wie beim Krankenhausplanungsausschuss, die Geschäftsstelle im zuständigen Fachreferat ansiedeln und selbstverständlich die Kosten in Höhe von 30.000 € tragen. Wir haben in den letzten Haushaltsberatungen genügend Änderungsanträge und genügend Reserven auch im Einzelplan 08 aufgezeigt, so dass das problemlos möglich ist. Sie sehen am Ende - Frau Präsidentin, vielen Dank -, der Gesetzentwurf liegt vor. Er wird an den Ausschuss überwiesen und ich hoffe, dass er auf gar keinen Fall so rausgeht, wie er reingegangen ist. Vielen Dank.

12.12.2012 2922