Soziale Mobilität, sozialer Aufstieg und Bedingungen für Chancengerechtigkeit in Thüringen

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Liebe Kolleginnen und Kollegen, weniger Langzeitarbeitslose, die geringste Jugendarbeitslosigkeit in ganz Europa und auch die Einkommensschere geht nicht weiter auseinander - alles Fakten, die auch die Mitbewerber nicht schlechtreden können. Aus der Studie „Soziale Mobilität - Ursachen für Auf- und Abstiege“ geht hervor, dass entgegen anderer Behauptungen die Ungleichheit zwischen den Einkommen seit 2005 abnimmt, die Schere sich also nicht öffnet, sondern schließt. Heute sind 2,5 Mio. Menschen mehr in Arbeit als noch im Jahr 2005. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist seit 2007 um 40 Prozent gesunken. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist in diesem Zeitraum um 10 Prozent, also um rund 2,7 Mio., gestiegen. Es gibt weniger geringfügig Beschäftigte, ebenso geht die Niedriglohnquote zurück. Zudem hat Deutschland im EU-Vergleich die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit. All diese Zahlen
deuten darauf, dass ein Arbeitsplatz der beste Schutz vor Armut ist. Deutschland geht es besser, als es manch einem Parteistrategen der bundespolitischen Opposition im Wahljahr recht sein kann. Aber es ist richtig, dass in Deutschland gerade die Frage der sozialen Mobilität problematisch ist, also die Frage der Bewegung von Einzelpersonen und/ oder Gruppen zwischen unterschiedlichen sozioökonomischen Positionen. Dies gilt natürlich auch für den Freistaat Thüringen. Wenn man ehrlich ist, kann es auch kaum anders sein, als dass es stets schwieriger ist, sozial aufzusteigen, denn den sozialen Stand zu erhalten. Ich meine dabei nicht so sehr die rein finanzielle Komponente, sondern auch die Förderung im Bereich Bildung. Wer früh erkennt, dass Bildung der eigentliche Schlüssel zur Eröffnung sozialer Chancen ist, wird es leichter haben, auch im Leben eine Beschäftigung zu erhalten, die ihm eine vollumfängliche gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht. Dies ist natürlich einfacher, wenn auch die eigenen Eltern bereits selbst diese Bildungserfahrung gemacht haben. Ich möchte für meine Fraktion gerade in diesem Punkt klarstellen, dass Schulen für uns in allererster Linie Bildungseinrichtungen und nicht zuvörderst Anstalten der Nivellierung gesellschaftlicher Unterschiede sind. Schulen müssen sich daran messen lassen, wie gut sie ihre Schüler entsprechend ihrer Begabung und Leistungsbereitschaft fördern. Dass es in Deutschland einen Zusammenhang zwischen Schulabschluss und sozialer Herkunft gibt, das ist mittlerweile fast schon eine Binsenweisheit. Dass dieser Zusammenhang aber auch für alle anderen OECDLänder gilt, hat sich hingegen noch nicht so herumgesprochen. Es ist gut, dass auch das noch einmal Erwähnung in der Antwort der Landesregierung gefunden hat. Es gibt allerdings Länder, in denen dieser Zusammenhang deutlich weniger stark ausgeprägt ist. Wir dürfen aber nicht nur auf die formalen Abschlüsse schauen, sondern auch auf das, was die jungen Menschen nach der Schule mit den dort erworbenen Bildungsmöglichkeiten anfangen können.
Und da sind wir in Deutschland und in Thüringen viel besser als in nahezu allen anderen Ländern. Es kann nicht sein, wie es auch in den nordischen Ländern leider häufig der Fall ist, dass alle formal den gleichen Abschluss machen, und dann findet in der durchaus prosperierenden Wirtschaft ein Fünftel bis ein Viertel keine Arbeit oder sie werden an den Hochschulen nicht angenommen. Dass wir da in Deutschland besser dastehen, ist auch dem gegliederten Schulsystem zu verdanken,
dass unsere Schüler besser auf die Berufsausbildung im dualen System oder auf das Studium an einer Hochschule vorbereitet werden. Wir stehen deshalb, und ich sage das noch mal ganz deutlich, ganz klar zum begabungsgerechten gegliederten Schulsystem aus Regelschule und Gymnasium. Dass wir nicht glauben, dass es funktioniert, wenn wir flächendeckend das Sitzenbleiben abschaffen, haben wir bereits des Öfteren deutlich gemacht. Individuelle Förderung ist wichtig, gar keine Frage, um Defizite von Schülern auszugleichen. Das geht aber nicht zum Nulltarif und es ersetzt auch nicht die Versetzungsentscheidung als pädagogisches Instrument. Schule ohne Leistung und Anstrengung funktioniert nicht und dies muss auch belohnt werden können. Sehr geehrte Damen und Herren, dies ist natürlich nur ein Teilaspekt des Problems. Ich will in diesem Zusammenhang gern auf die Fragen in Abschnitt 2 eingehen, die sich mit Umfang und Wirkung von bundespolitischen Programmen beschäftigen. So stellt die Landesregierung den bundespolitischen Initiativen ein positives Fazit aus. Schwarz-gelb hat also mit den Änderungen des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch, also der Neuregelung der Regelsätze, Bildungs- und Teilhabepakete, einen enormen Beitrag zur Reduktion der Armutsgefährdung
von Familien geleistet. Im Übrigen wurden die Regelsätze für Kinder Anfang 2013 erhöht - und dies erneut. So ist das, Herr Bärwolff. Ergänzend zum SGB II, also der Grundsicherung für Arbeitsuchende, dem Bundeskindergeldgesetz und dem SGB XII, also der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderungen, leistet die Bundesregierung in der Sozialhilfe für Familien mit Bezug von Kinderzuschlag oder Wohngeld einen Beitrag für 2,5 Mio. Anspruchsberechtigte. Zudem beteiligt sich der Bund an den Investitionskosten für 30.000 weitere zusätzliche Plätze für die öffentlich geförderte Betreuung von Kindern unter drei Jahren. Allein hier sind es Kosten in Höhe von ca. 580 Mio. €. Auch die Landesregierung hat zahlreiche Initiativen geplant, allerdings hat die Landesregierung trotz Vorbild des Bundes beispielsweise bei der Familienförderung keinerlei Gesamtevaluation der Thüringer Einzelmaßnahmen und Maßnahmenpakete vorgenommen. Und genau hier liegt unserer Ansicht nach das Problem. Es wird nicht zu wenig in Deutschland ausgegeben, sondern eher wie mit der Gießkanne verteilt. Wir messen gerade in der Politik oftmals die Qualität der Maßnahmen an der Höhe des eingesetzten Betrages anstatt an der Wirkung, die sich für die Betroffenen entfaltet. Allein im Freistaat setzen wir weit über 200 Mio. € jährlich für über 3.000 niederschwellige Beratungs- und Betreuungsstellen ein. Hinzu kommt noch einmal eine Vielzahl untereinander nicht vernetzter Anlaufstellen. Ich möchte ein paar einzelne als Beispiel nennen: 12 Stellen für Quartiersmanagement, 11-mal ThINKA, 24 Stellen für das Landesarbeitsmarktprogramm, 30-mal TIZIAN-Stellen, 10 Mehrgenerationenhäuser
usw. Dies ist ein aus unserer Sicht unübersichtlicher und undurchdringlicher Dschungel an Zuständigkeiten und Kompetenzen. Hören Sie zu, Herr Baumann! Nicht einmal die Beratungsstellen selbst wissen manchmal, welche weiteren Angebote es aus dem Sozialversorgemarkt noch gibt. Der Bürger ist aus unserer Sicht völlig überlastet mit dem Versuch, sich einen Überblick zu verschaffen. Nein, ich denke, wir brauchen dringend eine Evaluation der Nutzung der einzelnen Programme. Wir als Liberale wissen um die komplexe Aufgabe von Sozialprogrammen. Ergebnisqualität ist in diesem Bereich ebenso wenig exakt messbar wie im Gesundheitsbereich. Daher werden wir vorschlagen, zuerst einmal die Nachfrage nach den Einzelprogrammen abzufragen, denn ein Zusammenhang besteht aus unserer Sicht mit Sicherheit. Ein Programm, welches nicht nachgefragt wird oder welches scheinbar immer schlechter nachgefragt wird, muss auf den Prüfstand. Wir müssen die Ressourcen des Freistaates gerade im Sinne der Betroffenen dort einsetzen, wo den Betroffenen auch wirklich geholfen ist. Diesen Anstoß hat zumindest die Große Anfrage ergeben. Vielen Dank.

12.09.2013 2963