Versorgung in der Pflege nicht gefährden - Chancen zur Berufswahl in Thüringen erhalten

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte eins in der Begründung voranschicken. Der Ihnen vorliegende Antrag beschäftigt sich ausdrücklich nicht mit der Frage, ob ein Verstoß gegen das Subsidiaritätsprinzip vorliegt oder nicht. Dies hat - und das wissen Sie fast alle hier im Haus – der Europaausschuss bereits vorige Woche entschieden. Wer das Verfahren kennt, weiß aber auch, dass selbst das Erheben einer Subsidiaritätsrüge im Bundesrat nicht zwangsläufig zum Stopp des Abstimmungsprozesses zwischen Kommission, Europarat und Parlament führt, solange nicht ein Quorum von mindestens einem Viertel erreicht ist. Eine Subsidiaritätsbeschwerde oder -rüge ändert nicht etwa strittige Inhalte eines Richtlinienentwurfs, sondern es ist ein formaler Fingerzeig, dass die Kommission ihre Kompetenzen überschritten hat. Wir wollen in dem vorliegenden Antrag explizit über
die inhaltlichen Punkte sprechen, die auch Deutschland und Thüringen betreffen, und bitte Sie daher um eine sehr konstruktive Diskussion. Vielen Dank.

Frau Präsidentin, ich versuche es jetzt mal. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie will ich es denn jetzt sagen, ohne mich in den Verdacht eines Ordnungsrufs zu begeben, aber ich versuche es mal ganz, ganz lieb. Ich kann mich so an den einen oder anderen Antrag in den letzten Monaten erinnern, wo wechselseitig eine Fraktion der anderen populistische Anträge vorgeworfen hat. Wenn ich mich nicht total täusche, betraf das ausdrücklich jede Fraktion in diesem Haus, je nachdem, was ein anderer für eine Note erteilt hat, was denn ein guter und was denn ein schlechter Antrag ist. Von daher würde ich alle bitten, noch einmal in sich zu gehen und noch einmal zu schauen, denn wer im Glashaus sitzt - so lautet der alte Spruch – sollte nicht mit Steinen werfen. Für dieses Thema - Herr Gumprecht, ich achte Sie ja als Kollegen - muss ich auch versuchen, vorsichtig zu formulieren, vielleicht hätten Sie in Ihrer Fraktion jemand anderen gefunden, der auch gewusst hätte, über was er gesprochen hat. Das war schon sehr bemerkenswert, was Sie alles da in den Topf geworfen und vermischt haben und zum Schluss haben Sie gedacht, da kommt irgendwas Schönes dabei raus. Ich kann Ihnen versichern, es hat nicht geschmeckt, absolut nicht. Auch den Vorwurf, wir könnten im Bundeswirtschaftsministerium Anrufen. Herr Eckardt, ich habe Sie nicht verstanden, aber ich glaube, es war auch nicht wichtig -, habe ich in den letzten Monaten so oft gehört aus allen möglichen Richtungen, je nachdem, wer gerade in der Lage war, das behaupten zu dürfen. Ich will nur noch einmal feststellen und bei guter Recherche wäre das dem einen oder anderen Kollegen auch aufgefallen, dass im November vorigen Jahres der Ausschuss des Deutschen Bundestags für Gesundheit - ausdrücklich nicht für Wirtschaft, sondern für Gesundheit - einen Entschließungsantrag aller im Bundestag vertretenen Fraktionen mit Ausnahme der GRÜNEN - im Übrigen auch mit einem Thüringer in der SPD-Fraktion, nämlich dem Kollegen mehrheitlich beschlossen hat, der genau diese Punkte, die wir einfordern in unserem Antrag, noch einmal aufgeschrieben hat. Jetzt werde ich sie doch noch einmal nennen. Da wird unter anderem – hören Sie zu, Herr Gumprecht, vielleicht können Sie noch etwas lernen - die Anhebung der schulischen Anforderungen an den Zugang zur Ausbildung in der allgemeinen Gesundheits- und Krankenpflege durch die EU von 10 auf 12 Jahre diskutiert. Angesichts der hohen Qualität der Ausbildung in den genannten Heilberufen ist eine Anhebung der Zugangsvoraussetzungen nicht angezeigt. Würde eine solche EU-Vorgabe umgesetzt, um sicherzustellen, dass die deutschen Ausbildungen in der allgemeinen Krankenpflege weiterhin automatisch anerkannt würden, würde zugleich der Kreis der potenziellen Bewerberinnen und Bewerber erheblich eingeschränkt. Damit würden die Anstrengungen konterkariert, die Deutschland weiter unternehmen muss, um dem Fachkräftemangel in der Pflege vorzubeugen. Es ist daher erforderlich, an den bisherigen Zugangsvoraussetzungen eines zehnjährigen allgemeinen Schulabschlusses festzuhalten. Soweit der Ausschuss für Gesundheit im Deutschen Bundestag, wie gesagt, mit allen Fraktionen mit Ausnahme der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Sie gestatten das nicht Vielleicht habe ich es falsch aufgefasst, aber Kollege Gumprecht zitierte vorhin aus der Unterrichtung der Präsidentin des Thüringer Landtags aus dem letzten Europaausschuss, auch der ist vorhin schon Thema gewesen. Irgendwann hat er bei seinem Zitat gestockt, ich habe erst gedacht, er hat jetzt nicht den Ansatz gefunden, aber ich glaube, ich weiß, warum er gestockt hat, weil da nämlich steht und da zitiere ich jetzt auch noch einmal aus dieser Unterrichtung: „Eine Erhöhung auf 12 Jahre würde dazu führen, dass eine große Zahl von Schulabgängern von diesen Berufen ausgeschlossen würde und infolgedessen der Bedarf an Pflegekräften und Hebammen nicht gedeckt werden könnte.“ Soweit der Europausschuss. Wenn wir das schon dort als Unterrichtung veröffentlichen, warum beschließen wir es denn nicht einfach? Warum beschließen wir nicht genau das, was in unserem Antrag steht? So einfach ist das. Wie Sie unserem Antragstext auch entnehmen können, beschäftigt sich dieser vielmehr mit der konkreten inhaltlichen Auseinandersetzung des Richtlinienentwurfs der EU-Kommission. Das ist nämlich Inhalt von einem Antrag und nicht von einem Aussprechen einer Subsidiaritätsrüge oder von Bedenken, weil es dort rein nach Formalien geht, ob die Kommission dort ihre Zuständigkeiten überschritten hat und nicht mehr und nicht weniger. Wenn Sie im Europaausschuss sitzen würden, Kollege Gumprecht, wüssten Sie, dass genau diese Entscheidung nur mit einer Kompetenzüberschreitung zu tun hat und sich ausdrücklich nicht auf den Inhalt von diesen Sachen bezieht. Punkt.

Wir verstehen die EU nicht als Einbahnstraße und wir sind auch der festen Überzeugung, dass Thüringen zur europäischen Idee sehr viel beizutragen hat. Das Äußern und Einbringen von Kritik, der Hinweis auf nachteilige Auswirkungen der Pläne der EU-Kommission sind nicht nur Pflicht dieses Hohen Hauses, sondern bilden aus unserer Sicht die Grundlage eines lebendigen und lebensnahen Europa. Liebe Kolleginnen und Kollegen, nun zum Inhalt unseres Antrags. Die Europäische Kommission hat zur Jahreswende im EU-Parlament die in Deutschland höchst umstrittene Änderung der Berufsanerkennungsrichtlinie vorgelegt. Diese enthält neben der Heraufsetzung der für die Krankenpflegeausbildung erforderlichen Schulbildung auf 12 Jahre auch eine Vielzahl an weiteren Änderungen des europäischen Berufsanerkennungsrechts, die Bedeutung für die Anerkennung europäischer Berufsabschlüsse haben. Die EU-Kommission begründet die Erneuerung der Richtlinie mit dem Mangel an Arbeitskräften. Dieser werde in Zukunft nicht nur fortbestehen, sondern voraussichtlich sogar ansteigen, insbesondere im Gesundheitswesen. So weit, so gut, man muss die Initiative der EU auch wirklich begrüßen, denn tatsächlich ist die Voraussetzung der Mobilität von Arbeitskräften in Europa eine Harmonisierung der gegenseitigen Anerkennungsgrundlagen der Berufs- und Hochschulabschlüsse. Aber wie so oft steckt der Teufel im Detail. Wie immer zeigt sich, wie schwer es Gesetzgebern fällt, Realität exakt und ohne kontraproduktive Wirkung darzustellen. Wer mehrere hundert Berufs- und Abschlussarten über Europa hinweg anzugleichen hat, der kann nicht automatisch davon ausgehen, dass der gesetzgeberische Wille auch dem tatsächlichen Ergebnis bzw. der beabsichtigten Wirkung entspricht. Ein solcher Fall liegt uns hier mit der EU-Berufsanerkennungsrichtlinie im Bereich Pflege vor. Eine Anhebung der schulischen Voraussetzungen für die Krankenpflege würde in Deutschland aufgrund der Zusammenlegung von Alten- und Krankenpflege bedeuten, dass auch für die Ausbildung zum Altenpfleger 12 Jahre Schulbildung - in Deutschland also der Abschluss eines Abiturs - erforderlich ist. Dies wäre für die Sicherung der Versorgung in der Pflege kontraproduktiv. Ich habe bei zahlreichen Gesprächen in stationären Einrichtungen und auch mit ambulanten Diensten stets nur eine Reaktion erhalten, und zwar den Originalton: Sollte dies unverändert umgesetzt werden, wäre dies der Todesstoß der Pflege im ländlichen Raum. Dem ist nichts hinzuzufügen. Denn der bereits heute bestehende Fachkräftemangel würde dadurch erheblich verstärkt, und das bei erheblich steigenden Zahlen von pflegebedürftigen Menschen. Angesichts der demographischen Entwicklung besteht bereits heute aktuell ein akuter Fachkräftemangel in den Pflegeeinrichtungen. Laut dem Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste e.V. - bpa - werden bis 2020 bundesweit mehr als 280.000 zusätzliche Pflegefachkräfte benötigt. Auch für Thüringen hätte dies direkte und dramatische Folgen. Bereits jetzt leben ca. 77.000 pflege bedürftige Menschen hier im Freistaat. Das TMSFG geht davon aus, dass sich diese Zahl bis 2020 auf 86.000 erhöht haben wird. Nach einer Studie der Bertelsmann Stiftung wird im Jahr 2030 bereits jeder zehnte Thüringer über 80 Jahre alt sein. Entsprechend hoch wird der Bedarf an professioneller Pflege und ein damit verbundener höherer Bedarf an Fachkräften in der Pflege geschätzt. Hinzu kommt, dass sich die Pflegeberufe im allgemein härteren branchenübergreifenden Wettbewerb um Fachkräfte behaupten müssen. Wir können und dürfen im Sinne der Probleme in diesem Bereich nicht tatenlos zusehen. Wir müssen mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln in den Prozess eingreifen und die Stimme Thüringens erheben. Daher sollten wir der Landesregierung einen klaren Handlungsauftrag, und zwar proaktiv und inhaltlich geben. Ich bitte daher namens meiner Fraktion, den Punkt 2 einzeln abzustimmen. Es dürfte für die Pflegeanbieter vor Ort, deren Mitarbeiter und letztlich auch die Pflegebedürftigenselbst von Interesse sein. Vielen Dank.

14.06.2012 2946