Thüringer Seniorenmitwirkungsgesetz
(ThürSenMitwG)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. 23 Prozent der Bürger in Deutschland sind heute 60 Jahre und älter. Im Jahr 2050, so die Prognosen, wird mehr als ein Drittel unserer Bevölkerung 60 Jahre und älter sein. In Thüringen dürfte sich diese Folge des demographischen Wandels sogar noch beschleunigt darstellen. So weit zu den Fakten. Noch nie gab es also so viele ältere Menschen, die ihre Lebensphase so aktiv, engagiert und gesund erleben können und dieses Leben auch eigenverantwortlich gestalten wollen. Gesellschaft und Politik werden diesen grundlegenden Veränderungen leider nicht immer gerecht. Die Sichtweise der Gesellschaft auf die Älteren entspricht trotz positiver Veränderungsansätze noch nicht immer der Realität. Die Politik thematisiert manchmal die wachsende Anzahl Älterer in den meisten Fällen sogar als Problem für das weitere Funktionieren der sozialen Sicherungssysteme, der Pflegeproblematik oder Ähnlichem. Das ist rein fachlich und sachlich betrachtet sogar richtig, sind doch die Strukturen der heutigen Sozialsysteme in anderen Zeiten entstanden. Dennoch wird bisher wenig von den Chancen gesprochen, die für die Gesellschaft aus jenem Wandel entstehen. Seniorenpolitik ist nach meiner Einschätzung in Deutschland nach wie vor zumeist mit dem Betreuungsgedanken behaftet. Insofern ist uns der heute vorliegende Gesetzentwurf der Landesregierung zur stärkeren Mitwirkung von Senioren grundsätzlich sympathisch. Wir begrüßen die Intention des Gesetzentwurfs, die Mitwirkungsrechte der Seniorinnen und Senioren zu stärken, da wir sicherlich von den Erfahrungen der Älteren vor allem auch im politischen Prozess profitieren können. Allerdings muss ich mich über den konkreten Entwurf schon sehr wundern. Selbst wenn wir heute ohne Diskussion in die zweite Lesung zum Gesetzentwurf eintreten würden, diesen Gesetzentwurf also heute beschließen würden und er morgen in Kraft träte, wäre die Situation in Thüringen keine andere als sie jetzt schon vorherrscht. Denn alle relevanten Neuerungen sind als Kannbestimmungen ausgelegt. Das heißt, die Landkreise und kreisfreien Städte können einen Seniorenbeirat bzw. einen Seniorenbeauftragten schaffen. Ich - und das sage ich auch ganz deutlich - kann dies allerdings auch sehr gut verstehen, denn Sie können auf der einen Seite nicht den KFA permanent kürzen und auf der anderen Seite immer weitere Aufgaben an ihn übertragen und höhere Anforderungen an die kommunale Ebene stellen.

Insofern stünden wir also nach einem Beschluss des Gesetzentwurfs dort, wo wir in Thüringen heute bereits stehen. Ich würde so etwas inkonsequent nennen. Denn wenn die Landesregierung der Überzeugung ist, dass Seniorinnen und Senioren nur über einen Seniorenbeirat bzw. über einen Seniorenbeauftragten adäquat an der politischen Willensbildung und Gestaltung des Landes mitwirken können, dann allerdings würden die Kannbestimmungen nicht ausreichen. Wenn man sich die Realität im Freistaat ansieht, muss man jedoch die grundsätzliche Frage stellen, ob der gewählte Ansatz hier der richtige ist. Ich will hier nur ein Beispiel nennen. Im Stadtrat der Stadt Schleiz waren im Jahr 2009 14 Prozent der Mandatsträger über 70 Jahre, 24 Prozent über 60 Jahre, 38 Prozent über 50 Jahre und nur 24 Prozent des gesamten Stadtrats von Schleiz unter 50 Jahre. Diese Zahlen sind laut Gemeinde- und Städtebund durchaus auf den gesamten Freistaat zu übertragen. Das zeigt also, dass Seniorinnen und Senioren sehr wohl an der Willensbildung und Gestaltung des Landes aktiv teilhaben und diese vielleicht sogar auch als Ergebnis des demographischen Wandels dominieren. Aber in der hoffentlich folgenden Ausschussberatung lasse ich mich gern vom Gegenteil überzeugen, denn eine aktive Mitwirkung aller Generationen, Frau Jung, also auch der jüngeren, ist schließlich Grundlage einer aktiven und lebendigen Demokratie. Aber auch über Grundlegendes hinaus sehen wir noch Diskussionsbedarf. So bestimmen Sie, die Landesregierung, in § 2 Abs. 1, dass nur der als Senior gilt, der das 60. Lebensjahr vollendet hat. Meines Wissens gibt es in städtischen Satzungen - unter anderem auch in der der Landeshauptstadt Erfurt – Senioren bereits ab einem Alter von 55 Jahren zu definieren, um beispielsweise Vorruheständler mit einzuschließen. Hier allerdings muss man sehen, welche Regelung praktikabler ist. Des Weiteren fürchte ich, dass Sie mit § 3 Abs. 2, in welchem Sie die Aufgaben der kommunalen Seniorenbeiräte beschreiben, die Beiräte und Verwaltungen überfordern. Sie formulieren hier sehr weitgehend und offen und jetzt zitiere ich: „Der Seniorenbeirat ist vor allen Entscheidungen der kommunalen Vertretung, die überwiegend Senioren betreffen, anzuhören.“ Das kann, wir haben es gerade gehört, praktisch alles sein. Wer kommunalpolitisch tätig ist, weiß, welcher enorme Aufwand hier auf Verwaltungen und Gremien zukommt. Eine engere Grenze zu ziehen, z.B. etwa durch die Formulierung, die die Senioren unmittelbar betreffen, würde Verwaltungsaufwand reduzieren und zur Entbürokratisierung beitragen. Aber auch dies werden wir hoffentlich im Ausschuss weiterberaten können. In diesem Sinne bedanke
ich mich für Ihre Aufmerksamkeit. Vielen Dank.

14.06.2012 2962