Europäisches Jahr 2010 gegen Armut und soziale Ausgrenzung

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, im Gegensatz zu Frau Meißner würde ich schon noch ein paar Worte zu dem generellen Europäischen Jahr gegen Armut verlieren wollen. Ich glaube, es ist sich schon ein bisschen sehr einfach gemacht worden. Das öffentliche Bewusstsein für die Risiken von Armut und sozialer Ausgrenzung zu stärken und die Wahrnehmung für ihre vielfältigen Ursachen und Auswirkungen zu schärfen, das waren, wie Sie alle wissen, die Ziele des Europäischen Jahres 2010 ausgerufen von der Europäischen Kommission. Mit diesem Jahr sollte den Vorurteilen und möglichen Diskriminierungen gegenüber von Armutsrisiken und Ausgrenzungen betroffener Menschen begegnet werden. Gleichzeitig sollten Ansätze zu deren Überwindung aufgezeigt werden. Es sollten dabei vor allem drei Themenfelder sichtbar gemacht werden: 1. Jedes Kind ist wichtig, demzufolge Entwicklungschancen verbessern. 2. Wo ist der Einstieg? Mit Arbeit Hilfebedürftigkeit überwinden. 3. Integration statt Ausgrenzung, selbstbestimmte Teilhabe für alle Menschen. Öffentlichkeit und Politik sollten mit dem Europäischen Jahr gegen Armut im Jahr 2010 auf verschiedenen Ebenen für mehr Engagement gewonnen und die Öffentlichkeit hinreichend sensibilisiert werden. Die Arbeiterwohlfahrtsverbände, die unabhängigen Betroffenenverbände und die Initiativen freier Träger sollten Anerkennung und nachhaltige Stärkung erfahren. Zusätzlich sollten noch die Unternehmen ermutigt werden, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen und sich freiwillig gesellschaftlich zu engagieren. Es sollte deutlich werden, was jeder Einzelne und die Gesellschaft insgesamt gewinnen kann, wenn soziale Ausgrenzung und Armutsrisiken verringert werden. Wenn man sich die Anforderungen an dieses Jahr rückblickend in Erinnerung ruft, muss man sich schon fragen, wer diesem ambitionierten Programm damals seine Zustimmung gegeben hat. Aus meiner Sicht ist es völlig unrealistisch, diese Ziele in Europa innerhalb eines Jahres in Gänze zum Erfolg zu führen. Dazu gehört deutlich mehr. Jeder, der behauptet, das sei kein Problem und man könne die sozialen Unterschiede in Europa binnen kürzester Zeit ausgleichen, der versündigt sich an den Zielen der europäischen Kohäsionspolitik und an den Erwartungen der tatsächlich betroffenen Menschen. In Deutschland - und das will ich auch noch einmal ganz eindeutig sagen - haben wir, verglichen mit den Zuständen in weiten Teilen Europas, ich will da einmal das Land Rumänien nennen, geradezu paradiesische Zustände, auch wenn das in der Tagespolitik ganz gern aus den Augen verloren wird. Formen und Auswirkungen von Armut und Ausgrenzung sind aber in den unterschiedlichen Lebensbereichen immer noch sehr vielfältig. Die Armuts- und Reichtumsberichterstattung der Bundesregierung sowie die Sozialberichterstattung vieler Länder und Kommunen tragen seit vielen Jahren dazu bei, die soziale Lage in Deutschland zu analysieren und die Wege aus Armut und sozialer Ausgrenzung durch zielgenaue Maßnahmen aufzuzeigen. Nicht das Gießkannenprinzip mit einer unübersichtlichen Masse an Maßnahmen ist für den Erfolg entscheidend, sondern die Auswahl der richtigen Programme für die richtigen Personen. Zielgenauigkeit und Effizienz dürfen auch im Sozialbereich keine Tabuworte oder abzulehnende Grundlagen des politischen Handelns sein. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, die gegenwärtige wirtschaftliche Erholung nach der Finanz und Strukturkrise stärkt das Bewusstsein für die 60-jährige Erfolgsgeschichte der sozialen Marktwirtschaft und des Sozialstaats, den nicht zuletzt Ordoliberale wie Werner Eugen, zu verantworten haben. Dass der deutsche Sozialstaat in der Vergangenheit stets die Fähigkeit unter Beweis stellen konnte, auf soziale, wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderungen die angemessenen Antworten zu finden, darf man mit Fug und Recht gerade den sogenannten Neoliberalen um Ehrhard und Eugen zuschreiben, die vor allem in der Programmatik der FDP ihren Ausdruck gefunden haben. Vernunft, gesundes Wirtschaften und Rücksicht auf den, der sich nicht selbst helfen kann, bilden die Grundlagen für unseren Wohlstand. Freiheit und Verantwortung sind die Basis für das, was in vielen Teilen unserer globalisierten Welt noch immer Staunen hervorruft. In der Finanzmarkt- und Konjunkturkrise waren besonders sozial Schwache und benachteiligte Gruppen gefährdet. Auch das gehört zur Wahrheit, so dass die Fähigkeit des Sozialstaates zur sozialen Bewältigung und Gestaltung wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Umbrüche besonders gefragt war. Beispielsweise konnten dank der Kurzarbeit viele Unternehmen Entlassungen vermeiden, die zu sozialen Härten bei den Beschäftigten, aber auch zum Verlust von Kompetenz in den Unternehmen geführt hätten. Mit den Erfahrungen aus der Krise der vergangenen Jahre lässt sich sagen, dass sich die soziale Marktwirtschaft trotz aller parteipolitischen Auseinandersetzungen bewährt hat. Auch dies darf man an dieser Stelle einmal sagen. Dazu beigetragen haben die begonnenen Reformen des umfangreichen Systems der Mindestsicherung zur Bekämpfung von Armut und Ausgrenzung. Diese
wurden mehrfach an aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen angepasst. Vorgelagerte Sicherungssysteme, wie z.B. Erhöhung des Kindergeldes, Erhöhung des Steuerfreibetrages, Ausbau der Hinzuverdienstmöglichkeiten bei Hartz IV sind ausgebaut worden, um die Abhängigkeit von SGB-IIund SGB-XII-Empfängern deutlich abzuwenden. Schließlich zielen der Ausbau der Kinderbetreuung und gezielte finanzielle Transfers zur Sicherung der wirtschaftlichen Stabilität von Familien im Lebenslauf darauf ab, Chancengleichheit vor allem für die Kinder, die in Familien im Niedrigeinkommensbereich leben, herzustellen. Trotz der vielfältigen politischen Maßnahmen bestehen weiterhin Ungleichheiten bei der Chancenlage vieler Menschen, so etwa bei Geringqualifizierten, Menschen mit Migrationshintergrund, Menschen mit Behinderungen und bei Alleinerziehenden sowie Kindern und Jugendlichen aus sozial benachteiligten Haushalten. In den genannten Gruppen differenzieren sich die Chancen und Risiken immer noch nach dem Geschlecht. In besonders schwieriger Lebenslage befinden sich die Personengruppen, bei denen mehrere dieser Bedingungen sich vereinen. Dazu kommen soziale Probleme, Wohnungslosigkeit oder z.B. Suchtkrankheit. Auch das will ich an dieser Stelle deutlich sagen: Nicht der Staat oder die Gesellschaft sind allein dafür verantwortlich, dass sich Menschen aus sensiblen sozialen Lagen befreien. Ziel staatlicher Sozialpolitik muss es sein, denen, die sich befreien wollen, die Chancen zu bieten und ihnen die Mittel in die Hand zu geben. Der Wille zum Erfolg muss aber von dem Betroffenen selbst ausgehen. Daher ist das Credo „das Fordern und Fördern“ nach wie vor richtig. Zu dem Antrag der LINKEN muss ich sagen, dass wir dies gerade im Hinblick auf die gestraffte Tagesordnung doch viel besser im Sozialausschuss behandeln sollten. Der II. Punkt scheint ja zumindest in der hier geforderten Zeitschiene für die Landesregierung nicht einhaltbar zu sein. Auch darüber sollten wir besser im Ausschuss diskutieren. Vielen Dank.

13.06.2012 2959