Ausschuss

Die Verantwortlichen des Innenministeriums für die Fachaufsicht über den Verfassungsschutz haben vor dem Trinkaus-Untersuchungsausschuss ausgesagt - Aussagen, die bei den Abgeordneten grundsätzliches Entsetzen auslösten.
Von Sebastian Haak

Erfurt - Sowohl im NSU-, als auch im Trinkaus-Untersuchungsausschuss des Landtages bemühen sich die Parlamentarier über alle Parteigrenzen hinweg möglichst geschlossen aufzutreten. Nur selten allerdings waren sie so sehr im Entsetzen vereint wie am Freitag, als Wolfgang Kalz vor jenem Gremium aussagt, das sich mit den Hintergründen der V-Mann-Tätigkeit des Rechtsextremen Kai-Uwe Trinkaus beschäftigt.

Kalz ist im Thüringer Innenministerium der Referatsleiter, der seit Jahren die Fachaufsicht über den Verfassungsschutz ausübt. Er war es schon, als Trinkaus Mitte der 2000er Jahre für Schlagzeilen sorgte.

Das Entsetzen unter den Abgeordneten auf die Ausführungen von Kalz nimmt fast tragisch-komisch Formen an. Der Grünen-Obmann Dirk Adams muss sich sichtlich sammeln, nachdem er Kalz zugehört und einige Fragen gestellt hat. Seiner SPD-Kollegin Birgit Pelke geht es bald darauf ganz ähnlich. Der FDP-Obmann Marian Koppe betont, er könne diese Fassungslosigkeit nachvollziehen. Der Linke Bodo Ramelow spricht von "Verbitterung". Die Ausschussvorsitzende und CDU-Abgeordnete Evelyn Groß erinnert den Zeugen schließlich an seine Wahrheitspflicht.

Hintergrund für all das sind die Schilderung von Kalz über die Art und Weise, wie er - offenbar bis heute - die Fachaufsicht über den Verfassungsschutz ausübt. Er, der vom ehemaligen Innenstaatssekretär Stefan Baldus am Freitag als "Mister Verfassungsschutz" bezeichnet wird, sagt Sätze wie: "Fachaufsicht, ist nicht so, dass das eine lückenlose Kontrolle darstellt." Oder: "In Sachen Trinkaus ist die Fachaufsicht überhaupt nicht tätig geworden."
Von Koppe in die Enge gedrängt, räumt Kalz sogar ein, im Fall Trinkaus habe es "einer Selbstanzeige" Sippels gegenüber der Fachaufsicht bedurft, damit das Referat des Innenministeriums in der Sache tätig geworden ist.

Ein Mitarbeiter von Kalz bestätigt diese Arbeitsauffassung der Fachaufsicht später: "Sie dürfen nicht davon ausgehen, dass die Arbeit des Verfassungsschutzes im Innenministerium noch mal erledigt wird."

Der Ausschuss soll klären, ob der ehemalige NPD-Kreisvorsitzende von Erfurt, Kai-Uwe Trinkaus, mit Billigung oder gar Unterstützung des Verfassungsschutzes versucht hat, andere Parteien und zivilgesellschaftliche Akteure zu unterwandern. Er hatte sich 2006 selbst als V-Mann angeboten. Nach Angaben des Inlandsgeheimdienstes endete die Zusammenarbeit mit ihm im September 2007.

"Ihre Sache"

Im Fall Trinkaus glaubt Kalz trotz des Entsetzens der Abgeordneten richtig gehandelt zu haben, weil es im Januar 2007 ein Gespräch zwischen dem damaligen Innenminister Karl Heinz Gasser (CDU) und Verfassungsschutzpräsident Thomas Sippel gab, bei dem nach der Erinnerung von Kalz ein Satz Gassers gefallen ist: "V-Leute, Herr Präsident, sind Ihre Sache."

Nach dieser Äußerung habe er sich als Leiter der Fachaufsichtsbehörde für die Sache nicht mehr verantwortlich gefühlt, sagt Kalz. "Welcher Rahmen hätte denn nach der Aussage des Ministers noch bestanden?" Wieder so ein Satz, der die Abgeordneten mit den Köpfen schütteln lässt. Über alle Parteigrenzen hinweg.
Sippel tritt als Ex-Chef der Behörde ganz anders auf als Kalz, der sich am Anfang des Tages selbstsicher zeigt, sich aber offensichtlich zunehmend unwohler auf dem Zeugenstuhl fühlt. Der ehemalige Präsident des Amtes, der im Zuge der Enthüllungen zur NSU seinen Job verlor, gibt sich von Anfang seiner Befragung an selbstkritisch - und entschuldigt sich bei den Abgeordneten für die Anwerbung von Trinkaus als Spitzel.

Er wolle allen, die von dessen Machenschaften beschädigt worden seien, sein Mitgefühl aussprechen, sagt er. "Die vor der Verpflichtung angefertigte Prognose war zu optimistisch und erwies sich ex post als unzuverlässig." Trinkaus sei umtriebig, unberechenbar, skrupellos und nicht unter Kontrolle zu bringen gewesen. Es sei ein Fehler gewesen, ihn erst im September 2007 und nicht schon früher abzuschalten - wenngleich die Verpflichtung ohne das Wissen von heute trotzdem im Grundsatz vertretbar gewesen sei, sagt Sippel. Das Amt habe Quellen innerhalb der rechten Szene gebraucht und deshalb die Vorteile einer Anwerbung gegenüber den Risiken abwägen müssen.

In der Schlussfolgerung lässt Sippel allerdings keinen Zweifel: "Wir waren zu duldsam. Wir hätten die Reißleine vorher ziehen können und müssen. Das war ein Fehler. Das räume ich heute ein."


09.11.2013 inSüdthüringen.de