Wenn Eltern ihre Kinder schlagen, geht es immer auch um Macht: Der Stärkere gegen den Schwächeren, so sieht das Dr. Roland Eulitz aus dem Eichsfeld, der seit 1963 im Beruf ist. Eulitz hat sich lange Jahre als Vorsitzender der Arbeitsgruppe "Gewalt gegen Kinder" bei der Landesärztekammer engagiert.

Erfurt/Weimar/Dingelstädt. Der schlagende Erwachsene, der teilweise meint, mit seinem Übergriff Schlimmeres zu verhindern, "betrachtet das Kind als Eigentum". Aus der Sicht des Fachmanns ist wichtig, "Eltern zu helfen", aus der Gewaltspirale herauszukommen. Nötig sei auch "die gesellschaftliche Ächtung" solcher Übergriffe - "das gilt auch bei der Ohrfeige", die Felix Baumgartner "gesund" nannte. Eulitz hat selbst als junger Vater einmal seinem Sohn eine Ohrfeige gegeben. Dass das Problem für diese Affekthandlung bei ihm und nicht beim Kind lag, ist dem Kinderarzt und -psychologen längst klar.

Sozial- und Familienministerin Heike Taubert (SPD) war entsetzt, als sie las, Himmelsspringer Felix Baumgartner betrachte Ohrfeigen als legitimen Teil der Erziehung. Gewalt gegen Kinder sei nie ein Mittel, schon gar kein taugliches, macht die Ostthüringerin deutlich. "Wir kämpfen seit Jahren darum, dass Gewalt völlig aus dem Leben von Kindern und Eltern verschwindet", macht sie deutlich - und verweist auf die UN-Konvention zu den Rechten der Kinder, die Deutschland unterschrieben hat.

"Man muss die Kinder mit Liebe und Güte erziehen."
Für Taubert ist klar: "Wenn man ohrfeigt, dann macht man ein Tor auf, das unkontrolliert in so massive Gewalt gegen Kinder enden mag, dass wir sie in den Krankenhäusern wiederfinden, um sie dann in die Jugendhilfe mit hineinzunehmen." Sie sage daher: Wehret den Anfängen. Schlagen sei Reaktion aus Ohnmacht. Taubert erinnert sich an den guten Rat der Großmutter ihrer Schwiegermutter: "Man muss die Kinder mit Liebe und Güte erziehen."

Das war noch zu Zeiten, als Züchtigung als normal galt. Mit Liebe und Güte erziehen sei so einfach nicht, aber machbar, sagt die Ministern, die selbst Erfahrungen als Mutter hat. "Ich weiß, welche Aushandlungsprozesse ich mit meinen Kindern durch habe", sagt Taubert. Sie kenne die Belastungen der Eltern. Und deshalb betont sie auch, wie wichtig Regeln sind - klare Grenzziehungen, an die sich der Nachwuchs zu halten hat.

Die CDU-Landtagsgeordnete Beate Meißner ist für Kinder und Justiz zuständig - und sie betont "das Recht der Kinder auf eine gewaltfreie Erziehung: Dem sollten auch die Eltern in Thüringen entsprechen", sagt die Südthüringerin auf Anfrage unserer Zeitung. Baumgartners Äußerungen hält sie für bedenklich: "Er sollte sich dessen bewusst sein, dass er durch seine öffentliche Stellung auch Vorbildwirkung hat." Deshalb sei seine Einlassung "nicht gut".

Betroffene geben Schläge oft an ihre Kinder weiter
Ohrfeigen könnten dazu führen, dass Kinder einen falschen Eindruck im Umgang miteinander bekommen - und solche Schläge später auch an ihre eigenen Kinder weitergeben. Der Schritt zur Kindswohlgefährdung sei nicht weit. Auch darüber müsse aufgeklärt werden. "Eltern, die merken, dass sie mit gewaltfreien Mitteln in der Erziehung nicht weiterkommen, sollen sich Hilfe suchen und sich beraten lassen", rät Meißner - und wendet sich damit gegen vermeintlich schlagende Argumente.

Matthias Bärwolff , kinderpolitischer Sprecher der Linke-Fraktion, kann sich nur wundern: "Was Felix Baumgartner da gesagt hat, ist doch von vorgestern. Ohrfeigen gehören glücklicherweise schon lange nicht mehr zum angemessenen Erziehungsstil." Der Jung-Politiker Bärwolff erinnert daran, dass in Thüringen "die Prügelstrafe in Schulen schon 1946 abgeschafft worden" sei. Nach seinem Wissen findet "in fast allen Familien Erziehung heutzutage auf der Basis vor allem von viel Liebe und gutem Vorbild statt", sagt er auf Anfrage unserer Zeitung. "Alles andere ist doch nur Ausdruck von Hilflosigkeit."

Carsten Meyer , bündnisgrüner Landtagsabgeordneter und Vater einer Tochter, gibt zu bedenken: "Kinder lernen von ihren Eltern, wie sie sich zu anderen Kindern oder Erwachsenen verhalten sollen. Aber leider lernen sie dabei manchmal auch schlechtes Verhalten. Vielleicht wäre Herr Baumgartner ja nicht zu einem Schläger geworden, wenn sein Vater nicht versucht hätte, ihn mit Ohrfeigen zu erziehen?" Meyer spielt darauf an, dass Baumgartner vergangenes Jahr rechtskräftig wegen Körperverletzung verurteilt wurde, weil er in einem Streit schlichten wollte und dabei einen der Streithähne geschlagen hatte.

Wer möchte schon gerne geschlagen werden?
Meyer ist sich sicher: "Kinder können sehr gut ohne Gewalt angeleitet werden, das zeigen zum Glück ganz viele gut erzogene Kinder und Erwachsene. Diese haben alle gelernt, dass Gewalt keine Probleme löst." Und alle Eltern, die meinen, dass Ohrfeigen nötig sind, erinnert der Weimarer an das Sprichwort: "Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem anderen zu!" Jeder Erwachsene, der daran denkt, ein Kind zu schlagen, solle sich überlegen: Wer möchte schon gerne geschlagen werden?

Der FDP-Landtagsabgeordnete Marian Koppe erinnert daran, dass die Liberalen eine Kinderkommission einrichten wollten - ein Vorstoß, der letztlich aber ins Aus lief und keine Mehrheit im Parlament fand. Von Ohrfeigen hält er gar nichts. Regeln seien für Kinder wichtig - und wenn Strafe nötig ist, dann etwas, das nicht körperlich oder seelisch weh tut. Gerade hier hätte auch die Kinderkommission hinhören und Kinderbelange einbringen können, unterstreicht er die vertane Gelegenheit. Anders als im Bund und in Bayern wollte die Thüringer Landtagsmehrheit davon nichts wissen.

Gerlinde Sommer / 26.07.13 / TLZ

26.07.2013 TLZ - Thüringische Landeszeitung