Die Pläne hatten hohe Wellen geschlagen: Hessen will in Thüringen Erzieher abwerben. Jetzt rudert das Nachbarland zurück. Der Bedarf werde durch mehr Ausbildung gedeckt, heißt es dort.


Von Georg Grünewald

Erfurt/Wiesbaden - Nach der Debatte um die Abwerbung von Erziehern aus Thüringen hat die hessische Regierung offensichtlich eingelenkt. Die Landesregierung "plant derzeit keine Infoveranstaltungen in Thüringen", sagte eine Sprecherin des hessischen Sozialministeriums auf eine Anfrage unserer Zeitung. Man konzentriere sich auf die Sicherung des Fachkräftebedarfs durch die Werbung für den Beruf der Erzieherin und den Ausbau der entsprechenden Ausbildungsangebote in Hessen, argumentiert die Sprecherin. So würden im aktuellen Schuljahr in Hessen so viele Erzieher ausgebildet wie noch nie. Nämlich 6100 und damit rund 1200 mehr als vor zwei Jahren.

Das hessische Sozialministerium bestätigt damit auch die Antwort des Thüringer Kultusministers Christoph Matschie (SPD) auf eine kleine Anfrage der FDP-Abgeordneten Franka Hitzing und Marian Koppe. Die angekündigten Maßnahmen seien inzwischen zurückgenommen worden, so Matschie.

Der Hintergrund: Nach Zeitungsberichten soll der hessische Sozialminister Stefan Grüttner (CDU) im Februar gegenüber einem hessischen Radiosender geäußert haben, dass man eine Kampagne in Thüringen starten wolle, um den hessichen Erzieherbedarf zu decken. Was bei Matschie damals schon besonders unangenehm aufstieß: Seine thüringischen Kollegen hätten ihm bereits ihre Zustimmung signalisiert, behauptete Grüttner, eine offizielle Einigung stehe aber noch aus. Daraufhin hatte Matschie klargestellt, dass eine Werbeaktion Hessens in Thüringer Bildungseinrichtungen keine Option sei.

Fakt ist: In beiden Ländern werden Erzieher gesucht. In Hessen noch dringender als in Thüringen. Im Nachbarland geht man davon aus, dass in den kommenden Jahren 3500 neue Erzieher benötigt werden. Aber auch Thüringen hat weiteren Bedarf an Erziehern, nachdem die Kita-Reform den Betreuungsschlüssel verbessert hat. So werden bis August 2013 - wenn die Übergangsbestimmungen der Reform auslaufen - nochmal 250 weitere Vollzeitstellen benötigt, um den Rechtsanspruch auf Betreuung ab dem vollendeten ersten Lebensjahr sicher zu stellen.

Zudem müssen in den Jahren 2013, 2014 und 2015 jährlich rund 300 Erzieher alters- und gesundheitsbedingt ausscheiden und durch Neueinstellungen ersetzt werden.

Diese Zahlen nannte das Kultusministerium in der Antwort auf die FDP-Anfrage. Allerdings betonte Matschie auch, dass sich die Kommunen und die Freien Träger auf die Umsetzung des neuen Mindestpersonalschlüssels zum 1. August 2013 "optimal" vorbereiteten. So sei die Zahl der Erzieher in den Kindergärten von März 2010 bis zum März 2011 um 1480 auf 12549 gestiegen. Weitere 2690 Erzieher waren Ende November 2011 in den Horten beschäftigt. Laut Kultusministerium "nur eine geringfügige Unterdeckung".

Franka Hitzing, die Bildungspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, sieht sich durch die vom Kultusministerium vorgelegten Zahlen bestätigt: "Die Abwanderung von Erziehern wäre fatal." Nicht erklären kann sie sich aber weiterhin, "wieso der hessische Sozialminister Stefan Grüttner (CDU) behauptet hat, Erzieher in Thüringen mit Zustimmung der Thüringer Landesregierung abwerben zu wollen", Hitzing: Entweder er oder die Thüringer Landesregierung haben die Unwahrheit gesagt.



16.04.2012 Freies Wort