In Thüringen können sich Eltern entscheiden - immer mehr wählen den Kindergarten

In Thüringen ist die Lage so: Das Land zahlt ein Erziehungsgeld, wenn Eltern ihre Sprösslinge nicht in den Kindergarten schicken. Doch gleichzeitig haben schon einjährige Knirpse einen Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz viele Eltern haben eine echte Wahl.


Von Simone Rothe (dpa)

Erfurt. Der Betreuungsgeld-Zündstoff stammt aus Thüringen. Vor knapp sechs Jahren hat die CDU, als sie den Freistaat noch allein regierte, gegen massiven Widerstand nicht nur der Opposition ein Landeserziehungsgeld eingeführt. Es wird an die Eltern gezahlt, die ihren Nachwuchs weitgehend zu Hause betreuen. Das Besondere in Thüringen: Viele Eltern können schon bei den Kleinsten zwischen Kita-Platz und Geld wählen.
Das Landeserziehungsgeld Thüringer Prägung hat Vorbildcharakter für das Bundesmodell, sagt CDU-Generalsekretär Mario Voigt mit Stolz. Es diente der CSU im Nachbarland Bayern als eine Art Blaupause für das von ihr geforderte Bundesbetreuungsgeld, das sich derzeit zu einem Sprengsatz für die schwarz-gelbe Koalition im Bund entwickelt. Wobei die Betreuungsquote in Bayern noch sehr viel niedriger ist.

Umstrittene Folgen

Die Folgen der Prämie sind in Thüringen noch immer heftig umstritten. Führt das Erziehungsgeld zu sozialen Verwerfungen? Wirkt es als Herdprämie? Hält es Kinder aus sozial schwachen Familien von den Bildungsangeboten der Kindergärten fern? Auch die Koalitionspartner von CDU und SPD sind sich nicht einig. Die Auseinandersetzung wird seit 2006 heftig geführt, sogar mit Volksbegehren wurde gegen die Bleib-Zu-Hause-Prämie Front gemacht.
Je nach Familiengröße werden unabhängig vom Einkommen der Eltern zwischen 150 und 300 Euro pro Kind und Monat gezahlt. Thüringen unterscheidet sich damit von Baden-Württemberg, Sachsen und Bayern, wo es auch Erziehungsgeld gibt, allerdings mit Schwerpunkt auf Familien mit geringerem Einkommen.

Zehn Stunden betreut

Unabhängig vom Dauerstreit in der schwarz-roten Koalition: Das Kindergartennetz, das auf Drängen der SPD mit der Einstellung von über 2000 Erzieherinnen weiter ausgebaut wurde, erlebt regen Zulauf. Kinder haben nach ihrem ersten Geburtstag einen Rechtsanspruch auf einen Platz. Zudem muss eine tägliche Betreuungszeit von bis zu zehn Stunden ermöglicht werden wenn es die Eltern wünschen. Einige Kitas in gefragten Wohngebieten haben Wartelisten.

Nach Zahlen des Statistischen Landesamtes stieg die Zahl der unter Zweijährigen in den Kitas von gut 5700 im Jahr 2006 auf inzwischen fast 10 000. Und mit ihr stieg die Betreuungsquote: Bei den Zwei- bis Dreijährigen liegt sie derzeit bei fast 84 Prozent. Gleichzeitig sind die Zahlungen das Landes für das Erziehungsgeld rückläufig: 2008 waren es laut Sozialministerium noch rund 36 Millionen Euro, im Vorjahr 30 Millionen, und für 2012 werden etwa 28 Millionen Euro prognostiziert. Ist das Erziehungsgeld in Thüringen damit ein Auslaufmodell?

Wenn es nach SPD-Sozialministerin Heike Taubert geht, ja: Ich bin kein Fan des Erziehungsgeldes. Viele Untersuchungen legen nahe, dass staatliche Förderung vor allem in Kitas und Ganztagsschulen fließen soll, sagt sie diplomatisch. Sollte es eine Bundesregelung geben, würde sie die Thüringer Zahlungen gern stoppen.

Grüne und FDP starten im Landtag regelmäßig Anträge, die Herdprämie abzuschaffen und das Geld für andere soziale Zwecke einzusetzen. Das Landeserziehungsgeld ist ein Fehlanreiz, der abgeschafft gehört, schimpft der FDP-Abgeordnete Marian Koppe. Doch die CDU lässt sich zumindest bisher nicht irritieren.

Das Thüringer Erziehungsgeld setzt keine Fehlanreize und kann daher auch nicht als Argument gegen die Einführung eines Betreuungsgelds des Bundes genutzt werden, sagt der Vize-Chef der CDU-Landtagsfraktion, Klaus Zeh.

Wahlfreiheit

Es lasse sich aus den Thüringer Zahlen nicht ableiten, dass sozial Schwache das Erziehungsgeld überdurchschnittlich oft in Anspruch nehmen, sagt Zeh, der auch Präsident des Deutschen Familienverbandes ist. Thüringen habe mit seinem Kita-Angebot und dem Elterngeld eine echte Wahlfreiheit geschaffen, findet CDU-Politiker Voigt. Zudem werde deutlich, dass der Staat nicht über die Kinderbetten wacht. Voigt stört auch der Run auf die Kindergärten nicht, im Gegenteil. Er lobt eine um 2,4 Punkte gestiegene Betreuungsquote bei den Kleinen. Das gehöre zur Wahlfreiheit. Er sei selbst als sechs Monate altes Baby in den Kindergarten gekommen, sein Sohn werde auch in die Kita gehen. Wir haben da keine Berührungsängste, sagt Voigt.

Viele Thüringer Eltern auch nicht. In einem Erfurter Kindergarten ist das Elterngeld kein Thema. Die meisten gehen doch lieber arbeiten, als ein paar hundert Euro zu bekommen, sagt eine Mutter. Eine Erzieherin berichtet von einer Warteliste 40 Kinder stehen darauf.



04.04.2012 Frankfurter Neue Presse