„Werden in Thüringen die Ärzte knapp?“

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, Thüringen braucht Politiker in verantwortungsvollen Positionen, die sich den Realitäten stellen, und sich nicht die Realität herbeireden, die ihnen am ehesten in ihr politisches Konzept passt. Das ist eine Politik der rosaroten Brille und wird einer Lenkungs- und Regelungsfunktion von Politik in keinster Weise gerecht. Nicht nur gefühlt auch faktisch herrscht bereits heute Ärztemangel in Thüringen.

Nicht in jeder Stadt auch nicht in jedem Landkreis, aber doch so, dass sich Bürgerinnen und Bürgerschon jetzt an ihre Landtagsvertreter wenden, um sich über monatelange Wartezeiten bei Terminen für Fachärzte oder über unverhältnismäßig lange Anfahrten zu den Ärzten wenden. Das ist erst der Anfang.

Die demographische Entwicklung für die nähere Zukunft aufseiten der Patienten, einen erhöhten Pflege- und Maßnahmenbedarf, und aufseiten der Ärzte, ein Anwachsen der zu besetzenden Stellen, ist zu erwarten. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir als Verantwortliche müssen uns ernsthaft Gedanken machen, wie wir diesem sich verschärfenden Problem gerecht werden wollen, will Thüringen auch in Zukunft ein attraktiver Lebensstandort bleiben.

Von dieser Landesregierung habe ich bis jetzt keinen konkreten Vorschlag gehört, wie man das Problem angehen will. Im Gegenteil, sie drücken sich vor den Realitäten und beglückwünschen sich zu einem Stipendiensystem, das aus - man höre und staune - zehn Förderplätzen besteht bei bereits jetzt mehr als 100 fehlenden Hausärzten. Mit Verlaub, dies ist ein Prädikat, das noch nicht einmal den Satz: „Das ist ein Tropfen auf den heißen Stein.“ verdient hat.

Hinzu kommt, dass in der Presse eine junge Ärztin als Erfolgsfall präsentiert wird, die sich bereit erklärt, die heimische elterliche Praxis übernehmen zu wollen. Also sie fördern jemanden, der sowieso hierbleiben will. So viel zum Förderziel, neue Kräfte für die Sicherstellung der ärztlichen Versorgung in Thüringen gewinnen zu wollen, dem eigentlichen Sinn und Zweck dieser Stiftungsförderung.

Wenn Herr Domrös vom Verband der Ersatzkassen in seinem TA-Interwiev vom 13. Mai sagt, es gebe keinen Ärztemangel, man solle es nicht dramatisieren und es sei sowieso ein Problem der Zukunft, dann kann man ihm das als Vertreter der vdek noch durchgehen lassen. Den darauf harschen Widerspruch einzelner Krankenkassen, z. B. der Techniker Krankenkasse, muss er intern verarbeiten. Wenn aber alle Studien der Zukunft der ärztlichen Versorgung eine dramatische Situation prognostizieren, dann kann man nur Frau Dr. Schramm-Häder von der Landesärztekammer Jena beipflichten, die richtig feststellt - Frau Präsidentin, jetzt zitiere ich -, „dass den Menschen nicht geholfen ist, wenn ein Krankenkassenverband ihnen vorrechnet, dass es zu viele Ärzte in Thüringen gibt“,
denn sie erleben es tagtäglich anders. Dieses Verleugnen erlebter Realität ist - mit Verlaub – blanker Hohn und wir sollten es tunlichst vermeiden, die in diesem Hause zu wiederholen.

Dennoch, selbst die Zahlen des vdek beweisen, dass mindestens in sieben Landkreisen schon jetzt eine nachweisbare Unterversorgung mit Ärzten herrscht. Dies wird nur durch die Bereitschaft der Patienten, weitere Wege auf sich zu nehmen, und eine enorme Arbeitsbereitschaft der Ärzte ausgeglichen. Die Zukunft der medizinischen Versorgung in Thüringen jedoch auf eine hohe Mobilität der Patienten und eine zusätzliche Leistungsbereitschaft der Ärzte aufzubauen, ist gefährlich und bei der sich dramatisch verschärfenden Situation in Zukunft nicht länger leistbar. Sehr geehrte Damen und Herren, laut einer Studie des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung wird im Jahr 2025 im Freistaat ein zu deckender Bedarf von 1.599 Fachärzten und 1.566 Hausärzten bestehen. Das ist eine enorme Zahl, wenn Sie bedenken, dass wir uns schon jetzt mit anderen Bundesländern und mit anderen Regionen in einem Wettstreit um junge Ärzte befinden.

In dem Papier vom 5. Mai dieses Jahres wird außerdem auf die demographische Entwicklung, also die Altersstruktur in den Regionen eingegangen. Zum Beispiel wird in eineinhalb Jahrzehnten, so die Studie, der Bedarf an Hausärzten um 3,9 Prozent, der an Augenärzten um 8,5 Prozent und der an Urologen um - höre und sage - 18,4 Prozent steigen. Wir haben es also mit einem massiven Problem zu tun, das seine besondere Brisanz aus der Zweidimensionalität erhält: Die eingesessenen Ärzte hören aus Altersgründen auf, neue kommen kaum nach und zum anderen erhöht sich bei einer älter werdenden Gesellschaft der Betreuungsaufwand. Diesen sich gegenseitig negativ verstärkenden Grundbedingungen müssen wir energisch entgegenwirken. Wir werden an einer konstruktiven Lösung mitarbeiten. Vielen Dank.

22.07.2010 3133