Landtag beschließt mit knapper Mehrheit kommunale Neugliederung und damit 13 neue Gemeinden. Letztmalig gibt es Hochzeitsgeld.


Von Jens Voigt

Erfurt. Knapp war die Mehrheit im Landtag, die gestern die 13 kommunalen Neugliederungen auf den Weg brachte, deren Fusions-Förderung im Umfang von 1,3 Millionen Euro erstens die letzte und zweitens großteils schon ausbezahlt ist.
Drei Gegenstimmen bei der SPD, eine Enthaltung bei der CDU sowie deutliche Skepsis seitens einiger Redner von SPD und Union machten den erheblichen Riss deutlich, der sich in Sachen Gemeinde-Neugliederung durch die Koalition zieht. Das Dilemma ist laut SPD-Innenpolitiker Matthias Hey das schon oft benannte: Trotz eines demnächst ein Jahr zurückliegenden Antrages über mehrere Fraktionen inklusive CDU und SPD hinweg, der Kriterien für die kommunale Neugliederung konkret formuliert, liefen dank einer Stichtagsregelung die jetzt verabschiedeten 13 Fälle daran vorbei.
Dass Fusionen wie die von Nobitz und Saara die planerische Entwicklung Altenburgs ebenso behindern wie die von Ichtershausen und der Wachsenburggemeinde jene von Arnstadt, bleibt für Hey wie auch für Linke- und Grünen-Fraktion völlig unverständlich. »Keine der Neugliederungen in diesem Gesetz hätte Bestand, wenn wir die Kriterien unseres gemeinsamen Antrags zu Grunde legen würden«, betonte Hey, der zudem auf eine Stellungnahme des Gemeinde- und Städtebundes verwies, die sogar verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Neugliederungen anklingen ließ. Die Landesregierung sei dringend aufgefordert, den Kriterienkatalog für kommunale Fusionen endlich vorzulegen.
»Freiwilligkeit stößt an Grenzen, wenn die Rechte Dritter betroffen sind«, nahm Linke-Abgeordneter Frank Kuschel den Faden auf. Das gelte auch für das Verfahren zur Gesetzgebung, in dem von CDU und SPD lediglich schriftliche Anhörungen zugelassen wurden, deren sieben Aktenordner umfassendes Ergebnis von den Abgeordneten innerhalb von nur fünf Werktagen zu prüfen war. »Diese Fehlentscheidung wird uns noch viel Geld kosten«, meinte Kuschel mit Blick vor allem auf die Neugliederungen nahe der größeren Städte.
»Mal schmerzt es die eine, mal die andere Seite«, beschrieb CDU-Innenpolitiker Wolfgang Fiedler das offenbar zähe Ringen um einen Kompromiss. An dem freilich auch Kommunalpolitiker ihre Aktie haben, wie Fiedler deutlich einräumte: »Und auch die Landgräfin, äh, Landrätin hat im Fall des Vogtländischen Oberlands hier interveniert«, so Fiedler unter fraktionsübergreifendem Gelächter im Plenum.
Zuweilen freilich führen die Interventionen in einen rational kaum zu begreifenden Zick-Zack-Kurs, so bei der Fusion von Königsee und Rottenbach. Das neue Gebilde soll nun doch den Namen »Stadt Königsee Rottenbach führen«. Erst in der vergangenen Woche hatte der Innenausschuss nur Königsee im Namen der vergrößerten Stadt empfohlen. Ausgelöst durch eine Bürgerbefragung in Königsee, die fast 86 Prozent Befürworter des jetzigen Namens auch für die Zukunft zu Tage brachte. FDP-Landtagsabgeordneter Marian Koppe, nebenher Stadtrat in Königsee, nahm diesen Bürgerwunsch auf, formulierte namens der Liberalen den Änderungsantrag zum vorherigen Entwurf, der aber von einem Antrag von CDU und SPD überholt wurde, der neben dem neuen Namen noch weitere Neujustierungen enthielt, etwa zur Dauer der Legislatur. Mehrheitlich stimmte der Ausschuss zu.
Gestern morgen nun die Überraschung: SPD und CDU ziehen ihren Änderungsantrag zurück, zerlegen damit auch die Intention der Liberalen. »Ich bin stinksauer«, knurrt Koppe vor der Abstimmung. Damit werde wieder einmal ein Stück parlamentarische Arbeit entwertet und das von den Fraktionen der Koalition selbst. Und der »eindeutige Bürgerwille«, so Koppe, in Königsee. Ob die Wendung im Namensstreit mit dem Schreiben des Rottenbacher Bürgermeisters Volker Stein zu tun hat, der allen Fraktionen eine Klage gegen die Neugliederung ankündigte im Falle, sein Ort finde sich nicht im neuen Gemeindenamen wieder, steht freilich dahin. Das eigentlich verabredete harmonische Zusammenwachsen der Partner hat nun jedenfalls eine ziemliche Start-Störung erlitten. Freuen konnten sich am Ende endlich mal die Grünen: Ihr Antrag pro »Königsee-Rottenbach« landete eine gefühlte Sekunde vor dem Koalitionspapier in der Landtags-Maschinerie und führte letztlich zum Doppelnamen-Beschluss.

Kommentar

Im luftleeren Raum
Jens Voigt über wenig strukturierte Neu-Strukturierungen

Insgesamt 3197 Stellungnahmen zum Gesetz machen deutlich, dass die Neugliederungen »den Nerv der kommunalen Gemeinschaft treffen«. Sagt Thüringens Innenminister.
An mancher Stelle indes liegt dieser Nerv ziemlich blank. In Altenburg oder Arnstadt zum Beispiel, wo nun Großgemeinden vor der Nase wachsen, möglicherweise städtische Erweiterungen versperren und auch noch dank niedrigerer Steuersätze Investoren abspenstig machen. Oder in Kammerforst und Oppershausen, deren Zuordnungswunsch ebenso missachtet wurde wie der von Teilen des Vogtländischen Oberlands.
Das wahre Ärgernis aber bleibt, dass sich fusionswillige Gemeinden in einem quasi luftleeren Raum bewegen. Dabei haben sich die Landtagsfraktionen längst auf einen Kriterienkatalog geeinigt, der die Fusionen transparent und damit auch akzeptabler machen würde. Den zum verlässlichen Instrument zu machen, wäre wichtiger als die Klärung, welcher Ortsteil einen Bauhof oder eine Bibliotheks-Außenstelle hat. Dieses Versäumnis der Fraktionen wiegt weit schwerer als ihre gestern so launig eingestandenen Irrtümer beim Festlegen von künftigen Ortsnamen.


23.11.2012 OTZ - Ostthüringer Zeitung