Sozialpolitik

Auch nach dem Kompromiss zur Erhöhung der Hartz-IV-Bezüge reißt die Kritik nicht ab. Wieder werden Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Regelung laut.

Erfurt/Berlin - Bei der schwarz-roten Regierungskoalition in Thüringen ist der Hartz-IV-Kompromiss weitgehend auf Zustimmung gestoßen. Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) sieht Kinder und Kommunen als Gewinner der Einigung. Das vereinbarte Bildungspaket sei eine völlig neue Säule der staatlichen Leistungen, sagte sie. In der Nacht zu gestern hatten Vertreter von Bund und Ländern in Berlin nachmonatelangem Hickhack eine Einigung erzielt. Sie sieht unter anderem vor, dass der Regelsatz rückwirkend zum 1. Januar 2011 um fünf und ein Jahr später noch einmal um drei Euro angehoben wird.

Lieberknecht begrüßte, dass mit der Einigung langjährige Probleme wie ein kostenloses Mittagessen in der Schule oder die Freizeitbetreuung endlich angegangen würden. Dass die kommunalen Haushalte nicht mit dem Bildungspaket belastet würden, sei ein "gutes Zeichen". CDU-Fraktionsvorsitzender Mike Mohring sprach ebenfalls von einem "fairen Kompromiss". Vize-Ministerpräsident und SPD-Chef, Christoph Matschie, zeigte sich erleichtert, dass es endlich eine Einigung gab. Er sprach von einem vertretbaren Ergebnis. "Diese Lösung ist in jedem Fall ein Fortschritt, auch wenn sie nicht jedem weit genug geht." Am Ende bleibe allerdings die Frage, ob die Regelsätze auf Dauer Bestand haben könnten, da es Zweifel an deren Verfassungsmäßigkeit gebe. Auch die Sprecherin der ostdeutschen SPD-Bundestagsabgeordneten, Iris Gleicke, verwies darauf. Mit ihrer Haltung in den Verhandlungen haben die Unions-Seite die alleinige Verantwortung für eine eventuelle erneute Niederlage vor dem Bundesverfassungsgericht übernommen, sagte Gleicke.

Die Diakonie Mitteldeutschland kritisierte, dass abermals nicht erkennbar sei, wie der ab 2012 geltende Regelsatz errechnet wurde. Die Aufgabe, die das Bundesverfassungsgericht vor einem Jahr gestellt habe, sei nicht gelöst, erklärte gestern der Diakonie-Vorstandsvorsitzende Eberhard Grüneberg. Auch nach Ansicht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Thüringen verstößt der neu berechnete Regelsatz gegen die Verfassung. Langzeitarbeitslose müssten 400 Euro monatlich erhalten, forderte der Vorstandsvorsitzende Rolf Höfert. "Wir hoffen jetzt auf eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht, das wurde ja schon von einigen Ländern signalisiert." Der Linke-Fraktionsvorsitzende Bodo Ramelow sieht verglichen mit dem Sitzungsmarathon nur ein minimales Ergebnis. Das Paket schaffe immer noch nicht die notwendige menschenwürdige und existenzsichernde soziale Grundsicherung. Eine erneute Klage beim Bundesverfassungsgericht hält auch die bündnisgrüne Fraktion für unausweichlich. "Die Willkür bleibt in weiten Teilen bestehen", monierte Fraktionschefin Anja Siegesmund. Die FDP-Landtagsfraktion sieht hingegen "richtige Akzente" und echte Verbesserungen. Es gebe einen nachvollziehbaren und verfassungsfesten Regelsatz für Erwachsene und Kinder, erklärte der sozialpolitische Sprecher Marian Koppe.
dpa/jwe

22.02.2011 Freies Wort