Gesundheitspolitik

Nach der Reform ist vor der Reform
Von Roul Rommeiß

Nachdem der Pulverdampf der Silvesterböller verflogen, der Kopf vom Genuss hochgeistiger Getränke wieder frei und die Folgen der Weihnachtsschlemmerei mehr oder weniger sichtbar geworden sind, zieht der Alltag wieder ein. Es beginnt ein neues Jahr, fast schon traditionell wieder mit einer Reform der Sozialversicherung. Seit dem 1. Januar 2011 ist nunmehr auch das erste Gesundheitsreformgesetz der Bundesregierung aus CDU/CSU und FDP in Kraft. Wie immer, mag man denken. Schon wieder eine Reform. Wirklich was Neues, darf man sich fragen? Nun endlich die Lösung aller Probleme? Die Antwort auf all diese Fragen ist, wen wundert"s, ernüchternd. Ein Schritt in eine andere Richtung nach der Ära Schmidt. Ein Anfang, aber wohl keine endgültige Lösung. Dabei sind sich die Kenner der Materie längst einig. Eine Lösung aller Probleme im Gesundheitswesen wird es, kann es nicht geben. Trifft doch der letztlich unbeschränkte Wunsch nach Leben und Gesundheit auf die tatsächlichen und finanziellen Grenzen des Machbaren. Es geht, wie überall, um Ressourcenverteilung und um Teilhabegerechtigkeit. Der Deutsche Bundestag hat nun am 12. November 2010 ein Gesetz erlassen, dessen Name programmatisch klingt: Gesetz zur nachhaltigen und sozial ausgewogenen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Finanzierungsgesetz - GKV-FinG). Angesichts demographischer Probleme und medizinischen Fortschritts bleibt die Situation weiter angespannt. Dies betrifft nicht nur die gesetzlichen Krankenkassen, sondern auch die privaten Krankenversicherungen. Multimorbid, aber lebenswert, zunehmend älter werdend steigert die Ausgaben stetig. So ist auch dieses Gesetz zuerst einmal ein Spargesetz. Dabei spart als erster der Staat. Nachdem die Bundeskanzlerin Ende Juni 2010 verkündete, dass die Finanzkrise in weiten Teilen überstanden sei, werden die Steuerzuschüsse aus dem Konjunkturpaket II eingestellt und der Beitragssatz wieder auf 15,5 %, mithin den Stand vom 1. Januar 2009, angehoben. Davon tragen die Arbeitgeber wie zuvor 7,3 % und die Arbeitnehmer 8,2 %. Die großen Ziele der Koalition, wie Abschaffung des Gesundheitsfonds und Stärkung der Beitragsautonomie der Krankenkassen, wurden nicht erreicht. Aber ein erster Schritt aus der kollektiven Umverteilung und Vereinheitlichung wurde gemacht. Zukünftig werden die Arbeitgeberanteile der Krankenkassenbeiträge auf 7,3 % festgeschrieben. Notwendige Kostensteigerungen werden ausschließlich über einen einkommensunabhängigen Zusatzbeitrag durch die Versicherten bei Beibehaltung der beitrags- und zusatzbeitragsfreien Familienversicherung finanziert. Der Zusatzbeitrag ist grundsätzlich nicht limitiert und unterliegt der ausschließlichen Beitragshoheit der Krankenkassen. Diese bestimmen und ziehen ihn in voller Höhe beim Versicherten ein. Auch von ALG-II-Empfängern wird der kassenindividuelle Zusatzbeitrag erhoben. Für die übernimmt jedoch der Gesundheitsfonds, mithin die übrigen Beitragszahler, den Zusatzbeitrag bis zur Höhe des durchschnittlichen Zusatzbeitrages aller Krankenkassen. Darüber hinaus gehende Beiträge werden nur dann eingezogen, wenn dies die Satzung der Krankenkasse vorsieht. Ist dies nicht der Fall, zahlen die übrigen Versicherten der Krankenkasse durch höhere Zusatzbeiträge hierfür. Um Überforderungen zu vermeiden, wird es einen Sozialausgleich und die Möglichkeit des Kassenwechsels geben. Der Anspruch auf Sozialausgleich besteht, wenn der durchschnittliche Zusatzbeitrag aller Krankenkassen 2 % über dem sozialversicherungspflichtigen Einkommen liegt. Übersteigt der Zusatzbeitrag der jeweiligen Kasse zwar die Grenze, der durchschnittliche Zusatzbeitrag aller Kassen erreicht den Betrag jedoch nicht, erfolgt kein Ausgleich. Dem Versicherten bleibt nur der Wechsel der Krankenkasse. Ein Antrag auf Sozialausgleich muss nicht gestellt werden. Dies erfolgt automatisch mit der Lohn- bzw. Gehaltsrechnung durch den Arbeitgeber. Er hat dann die Berechnung vorzunehmen und die Abführung der Arbeitgeberanteile zur Krankenversicherung abzusenken. Als
Ausgleich erhält er hierfür die Fehlbeträge ausSteuermitteln erstattet. Zwar führt dies beim Arbeitgeber zu höherem bürokratischen Aufwandund Vorfinanzierungskos ten, im Gegenzug ist er jedoch von weiteren Beitragserhöhungen nicht mehr direkt betroffen. Obgleich zumindest für das Jahr 2011 mit keinem Sozialausgleich gerechnet wird, lohnt es sich, als Praxisinhaber das Lohnbüro zu sensibilisieren, damit rechtzeitig die Voraussehungen für Sie als Arbeitgeber Zahnarzt getroffen werden. Durch die Einführung des Zusatzbeitrages werden zukünftig primär die Versicherten durch Ausgabensteigerungen belastet. Dies führt zuerst einmal zu einer Entkoppelung der Krankenversicherungsbeiträge von den Lohnkosten, allerdings nur vorübergehend. Betrachtet man den demographischen Wandel der Bevölkerung unter Arbeitsmarktgesichtspunkten wird schnell klar, dass zukünftig um die qualifizierten Mitarbeiter gerungen werden muss. Um dann entsprechendes Personal zu gewinnen, wird sich auch der Arbeitgeber an den Kosten der Krankenkasse beteiligen müssen, im Zweifel über höhere Löhne und Gehälter. Dies wird bei kleineren Unternehmen, insbesondere im Dienstleistungssektor, wie eben gerade auch Zahnarztpraxen, zu relativ höheren Belastungen führen, als dies bei größeren Unternehmen der Fall ist. Diese können z. B. wieder geschlossene Betriebskrankenkassen gründen. Zuvor werden die Versicherten jedoch noch stärker als vorher von ihren Wechselmöglichkeiten Gebrauch machen. So kam es durch die Einführung eines Zusatzbeitrages von 8 Euro beispielsweise bei der DAK im Jahr 2010 zu dramatischen Mitgliederverlusten. Hier kann bereits heute festgestellt werden, dass die Erhebung von Zusatzbeiträgen eine höhere Wechselbereitschaft hervorruft, als dies bei einer prozentualen Beitragserhöhung der Fall war. Die Konzentrationsprozesse der Krankenkassen werden allen Prognosen zufolge zunehmen. So rechnen verschiedene Stellen zum Ende des Jahres 2011 mit weniger als 100 Krankenkassen. Im Jahr 1995 wurden noch 960 Krankenkassen gezählt. Mit der Einführung des steuerfinanzierten Sozialausgleichs wird die Beitragsbasis schleichend verbreitert. Während das bisherige Beitragssystem ausschließlich (von Steuerzuweisungen für versicherungsfremde Leistungen in unzureichender Höhe abgesehen) die Arbeitskosten belastete, werden zukünftig alle Steuerzahler und steuerpflichtigen Einkommen mit herangezogen. Es wird abzuwarten sein, ob dies mittelfristig standhält, da die Heranziehung von Nichtversicherten zur Beitragszahlung an die gesetzlichen Krankenkassen, wohl zur Frage der Berechtigung der gesetzlichen Krankenversicherung als eingeschränkte Pflichtversicherung führen dürfte. Ob dann am Ende eine reine Privatversicherung oder ein auf Prämien basierendes allgemeines Versicherungssystem entstehen wird, bleibt jedoch weiter offen. Die Krankenkassen werden versuchen, den Wettbewerbsdruck an die Heilberufe weiterzugeben. Möglichst geringe Ausgaben sind dabei noch stärker als zuvor deren Ziel. Dies gilt umso mehr, da die Verwaltungskosten in den nächsten zwei Jahren nicht steigen dürfen. Hierzu werden sie alle Register ziehen. Schiedsamt und Selektivverträge sind nur zwei Stichworte in diesem Zusammenhang. Die Zahnärzte müssen, um diesem Druck standhalten zu können, die Einheit ihres Berufstandes wahren, die Selbstverwaltungskörperschaften stärken und dabei diese beauftragen, flexible Lösungen zu finden. Zusätzliche Leistungen werden die Krankenkassen zukünftig nur noch zulassen, wenn diese entweder durch den Patienten selbst getragen werden oder im Wettbewerb zur Mitgliedergewinnung führen. Allerdings wird hierbei streng darauf zu achten sein, dass es nicht zu Ausgrenzungs- und Umverteilungsverträgen kommt. Der Zugang muss allen Zahnärzten offen stehen. Zusätzliche Leistungen oder höhere Qualität müssen entsprechend honoriert werden. Die bereits heute gem. § 13 Abs. 2 SGB V bestehende Möglichkeit, Kostenerstattung zu wählen, soll erleichtert werden. Während bisher der Versicherte ein Jahr an die Wahl gebunden war, ist er dies zukünftig nur noch für ein Vierteljahr. Darüber hinaus kann die Kasse in ihrer Satzung festlegen, dass die Kostenerstattung nicht nur für die Leistungsbereiche ambulant bzw. stationär, sondern auch für einzelne Leistungen, wie z. B. eine Behandlung beim Kieferorthopäden, gewählt werden kann. Darüber hinaus darf die Krankenkasse keine Abschläge mehr wegen fehlender Wirtschaftlichkeitsprüfung abziehen. Im Übrigen bleibt es jedoch dabei, dass die Krankenkasse nur die Kosten der vergleichbaren Sachleistung erstatten darf und vor der Wahl zu informieren ist. Die Vertragszahnärzte kämpfen seit Jahrzehnten um eine wirkliche Reform der vertragszahnärztlichen Vergütung und nunmehr 13 Jahre um die Abschaffung der Budgets. Gerade auch die KZV Thüringen macht sich gemeinsam mit der KZBV hierfür stark. Viele Gespräche mit Abgeordneten der Bundes und Landesparlamente, Mitarbeitern von Ministerien, Kassenvertretern und nicht zuletzt Verantwortungsträgern anderer KZVen und Kammern waren hierfür notwendig. Hierbei standen die Abschaffung der Budgetierung und die Beseitigung der ungerechtfertigten Vergütungsunterschiede zu den Kollegen in den alten Ländern ganz oben auf der Forderungsliste. Unterstützung fand der Vorstand der KZV Thüringen hierfür in erster Linie bei den KZVen der neuen Länder. Aber auch das Thüringer Ministerium für Sozia les, Familie und Gesundheit, insbesondere die Ministerinnen Lieberknecht (CDU) und Taubert (SPD), unterstützten uns in diesem Bemühen. Der erste Entwurf eines Reformgesetzes aus dem nun FDP-geführten Bundesgesundheitsministerium (BMG) des Ministers Dr. Rösler lies hinsichtlich der Kernforderungen der Zahnärzte Hoffnung aufkommen. So war darin vorgesehen, dass die Gesamtvergütung, d. h. alle Zahlungen der Krankenkassen für vertragszahnärztliche Leistungen, über die bisher vorgeschriebenen Grenzen hinaus gesteigert werden darf, wenn die Morbiditätsentwicklung, Kosten- und Versorgungsstruktur der Krankenkasse dies erforderlich macht. Wenn also eine Krankenkasse zusätzlich besonders viele Mitglieder gewinnt, die einen höheren Behandlungsbedarf aufweisen oder verstärkt familienversicherte Kinder haben, dann sollte dies zu Lasten der Krankenkasse gehen. Leider fand sich diese Regelung dann schon nicht mehr in dem Entwurf, den die Bundesregierung(Kabinett), mithin nach Beratung mit den anderen Koalitionspartnern, einbrachte. Gleichwohl weist das nun verabschiedete Gesetzeswerk einige Regelungen auf, die insbesondere für die Vertragszahnärzte bedeutsam sind. Die am 31.12.2010 vereinbarten Punktwerte und Budgets für zahnärztliche Leistungen, ohne Zahnersatz, IP und FU, dürfen sich im Jahr 2011 höchstens um die um 0,25 Prozentpunkte verminderte und im Jahr 2012 höchstens um die um 0,5 Prozentpunkte verminderte nach § 71 Abs. 3 SGB V für das gesamte Bundesgebiet festgestellte Veränderungsrate erhöhen. Die Veränderungsrate wird durch das BMG für das jeweilige Jahr anhand der Entwicklung der beitragspflichtigen Löhne und Gehälter festgesetzt. Sie hat danach für das Jahr 2011 einen Wert von 1,15 %. Bisher hätte sich die Vergütung höchstens um diesen Betrag erhöhen dürfen. Durch die Absenkung beträgt die maximale Steigerungsrate nunmehr 0,9 %. Eine sachgerechte Vergütungsanpassung ist damit nicht möglich. Da aber noch zu Beginn des Gesetzgebungsverfahrens eine Halbierung der Steigerungsrate vorgesehen war, ist die nunmehrige Belastung ein kleiner, wenngleich nur schwer erreichbar gewesener Erfolg. Die Auswirkungenfür das Jahr 2012 lassen sich erst beziffern, wenn die zugrundeliegenden Einkommensentwicklungen festgestellt wurden, mithin Ende September 2011. Nach der Begründung des Gesetzes handelt es sich hierbei um ein "Sonderopfer" der Zahnärzte, welches sie genauso wie Krankenhäuser und Ärzte zur Finanzierung der GKV bringen müssen. Leider konnten wir mit unserem Einwand, dass die Zahnärzte seit Jahren nicht zur Kostensteigerung beitragen, im Gegenteil der Ausgabenanteil sinkt, nicht durchdringen. Bezüglich der längst überfälligen Beseitigung der ungerechtfertigten Vergütungsunterschiede sieht das Gesetz vor, dass die Punktwerte und Budgets der Ost-KZVen in den Jahren 2012 und 2013 zusätzlich jeweils um 2,5 % gesteigert werden. Da der Vergütungsunterschied jedoch min. 10,9 % beträgt, ist damit wohlwollend berechnet gerade einmal die Hälfte erreicht. Doch selbst hiergegen regte sich gerade in den alten Ländern Widerstand. Dieser gipfelte in der Forderung, doch statt des Ost-West-Angleichs lieber auf die Begrenzung der Vergütungssteigerung zu verzichten. Das entspreche doch in etwa dem gleichen Finanzvolumen. Dies konnten jedoch die Ost-KZVen gemeinsam mit den politisch Verantwortlichen der Ost-Länder abwehren. Insbesondere durch die Gewinnung des Gesundheitspolitischen Sprechers der Thüringer FDP-Landtagsfraktion Marian Koppe und des Thüringer Bundestagsabgeordneten Patrick Kurth erlangte die KZV Thüringen Zugang zu Minister Dr. Rösler, so dass dieser erste Schritt in die richtige Richtung nunmehr im Gesetz verankert ist. Das besondere Engagement Thüringens veranlasste Bundesgesundheitsminister Rösler am 16.11.2010, die FDP-Landtagsfraktion Thüringen zu besuchen. Im Rahmen eines hiergeführten Gesprächs erklärte er auf Nachfrage, dass er den vollständigen Ost-West-Angleich unbedingt noch in dieser Legislatur auf den Weg bringen will. Leider sei es ihm nicht gelungen, dies bereits in dem jetzigen Gesetz zu verankern. Des Weiteren werde noch im Jahr 2011 der nächste Schritt angegangen. Dieser werde auch die Reform der vertragszahnärztlichen Vergütung beinhalten. Den Zuhörern vermittelte der Minister den Eindruck, dass er es ernst meint. Ob wegen der vielen Landtagswahlen in diesem Jahr, vor allem in den alten Bundesländern, alle Pläne noch politisch durchsetzbar sind, wird die Zukunft zeigen.


20.01.2011 Thüringer Zahnärzteblatt